Hans Georg Hofmann, Fachanwalt für Steuerrecht/Steuerstrafverteidiger
Rundschreiben März 2017
Nach der Reform des § 371 AO: Berichtigung von Steuererklärungen oder Selbstanzeige ?
- Grundlagen
Unternehmen sind steuerlich zur Korrektur vorangegangener Erklärungen verpflichtet (§ 153 AO). Das Unterlassen der Berichtigung nach § 153 AO kann – und wird zunehmend – durch die Finanz- und Ermittlungsbehörden als Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) gewertet.
Steuererklärungen sind kompliziert. Unternehmen müssen deshalb nicht selten zur Kenntnis nehmen, dass bei vorangegangenen Erklärungen Sachverhalte fehlerhaft oder unvollständig abgebildet wurden und Korrekurbedarf besteht.
Oft ist unklar, ob eine schlichte Berichtigung (§ 153 AO) oder eine Selbstanzeige (§ 371 AO) erforderlich ist. Maßgeblich ist, ob der Fehler in der Ursprungserklärung unverschuldet, fahrlässig oder möglicherweise bedingt vorsätzlich begangen wurde. Hat der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Ursprungserklärung einen Fehler in der Erklärung konkret für möglich gehalten (dann bedingter Vorsatz), liegt eine strafbare Steuerhinterziehung vor. Zur Erreichung von Straffreiheit ist dann nach § 371 I AO der Mindestberichtigungszeitraum von zehn Jahren zu beachten. Ab einer Steuerverkürzung von mehr als 25.000 Euro pro Jahr und Steuerart stehen Auflagenzahlungen in Höhe von 10-20 % des Verkürzungsbetrages im Raum (§ 398a I Nr. 2 AO).
Das BMF hat in einem Anwendungserlass zu § 153 AO 23. 05.2016 Finanzbeamten und Steuerpflichtigen Leitlinien für eine Unterscheidung von § 371 AO zu § 153 AO an die Hand gegeben (BMF vom 23.05.2016, BStBI. 2016 1, 490).
Darin werden die Finanzämter immerhin angehalten, nicht vorschnell – bspw. wegen der Höhe der mitgeteilten Beträge – von einem Fall des bedingten Vorsatzes und damit § 371 AO auszugehen.
- § 153 AO: Korrekturanzeige und inhaltliche Berichtigung
- Die Voraussetzungen für die Entstehung dieser in § 153 AO geregelten Pflichten sind:
- Es muss eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben worden sein.
- Der Steuerpflichtige muss dies nachträglich erkennen.
- Es muss eine Steuerverkürzung eingetreten sein (oder drohen).
- Die Festsetzungsfrist für die entsprechende Veranlagung darf noch nicht abgelaufen sein.
- In der Rechtsfolge verpflichtet § 153 Abs. 1 AO zu zwei verschiedenen Handlungen:
(1) Im ersten Schritt muss die erkannte Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung gegenüber dem zuständigen Finanzamt angezeigt werden. Diese Erklärung soll nachfolgend zur Klarstellung und zur Vermeidung von (verbreiteten) Missverständnissen als „Korrekturanzeige” bezeichnet werden.
(2) Der zweite Schritt erfordert dann die Mitteilung der aufgearbeiteten und zutreffenden Besteuerungsgrundlagen gegenüber dem Finanzamt (eigentliche „Berichtigungserklärung”).
(3) Frist: Das BMF bestimmt, dass sowohl die „Anzeige (..) sowie die Berichtigung” … „unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern erstattet werden”. Die Berichtigung kann, so das BMF, aber auch später „nachfolgen”, wenn dies wegen einer Aufbereitung von Unterlagen erforderlich ist (BMF a. a. 0. Tz. 5.1). Letzteres dürfte indessen der Regelfall sein.
Es empfiehlt sich, nach der Korrekturanzeige (erster Schritt) den Korrekturprozess zeitlich mit dem Finanzamt abzustimmen. So kann dem Vorwurf der nicht fristgerechten Berichtigung (zweiter Schritt) am ehesten begegnet werden. Die Festsetzung und die Bemessung einer Frist zur Abgabe der „Berichtigungserklärung” stehen im Ermessen der Finanzbehörde. Setzt das Finanzamt eine Frist, so muss sie den Umständen nach angemessen sein (Dumke in Schwarz, AO, § 153 Rz 2, 2a).
(4) Die jeweilige Erklärung ist beim zuständigen Veranlagungsfinanzamt einzureichen (BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06 -).
III. Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Verletzung der Anzeigepflicht
- Objektiv setzt eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen voraus:
– Verletzung der Korrekturpflicht nach § 153 AO,
– Unkenntnis der Finanzbehörde (die nicht erteilten Informationen dürfen ihr nicht aus anderer Quelle bekannt sein;
– die Pflichtwidrigkeit hat eine Steuerverkürzung als Taterfolg zur Folge.
Der objektive Tatbestand der Strafvorschrift ist erst in dem Zeitpunkt erfüllt, in dem bei ordnungsgemäßer rechtzeitiger Korrektur hypothetisch die Steuerfestsetzung nachgeholt oder korrigiert worden wäre (BMF a. a. 0. Tz. 5.3). Für die Bestimmung dieses Zeitpunkts gilt zugunsten des Beschuldigten der strafrechtliche Zweifelsgrundsatz (,‚in dubio pro reo”).
Die Pflichtwidrigkeit lässt sich insoweit nur feststellen, wenn für den konkreten Fall rechtswirksam eine Frist bestimmt ist, innerhalb derer die vorgeschriebene Handlung vorgenommen worden sein muss.
Dies dürfte bedeuten, dass eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur durch die unterlassene Korrekturanzeige (erster Schritt) begangen werden kann. Für die Prüfung der Vollendung ist dann die hypothetische Fristsetzung zur Abgabe der Berichtigungserklärung durch das Finanzamt und die Erfüllung dieser nachgelagerten Pflicht durch das Unternehmen hinzuzudenken.
Bleibt der Steuerpflichtige hingegen untätig, nachdem er fristgerecht die Unrichtigkeit als solche angezeigt hat, so führt dieses Unterlassen nicht zur Strafbarkeit, solange das Finanzamt nicht eine Frist zur Einreichung der Berichtigungserklärung gesetzt hat.
- Subjektive Voraussetzung der Strafbarkeit ist, dass der Steuerpflichtige die Pflicht zur Korrektur vorsätzlich verletzt und den Taterfolg herbeiführt.
Die Kenntnis der in § 153 AO beschriebenen Merkmale reicht für den Eventualvorsatz grundsätzlich aus.
Das Wissen der daraus folgenden Rechtspflichten ist demgegenüber nicht erforderlich. Ein diesbezüglicher Irrtum über die entstandene Verpflichtung ist lediglich ein Verbotsirrtum i. S. von § 17 StGB und führt nur zur Straffreiheit, wenn er unvermeidbar war. Dies wird in der Praxis kaum je der Fall sein.
- Persönliches Strafbarkeitsrisiko aus § 153 AO:
Die Pflicht entsteht im Unternehmen nur für die Personen, die entweder gesetztliche Vertreter (§ 34 AO, also Geschäftsführer, Vorstände etc.) oder Verfügungsbefugte i. S. von § 35 AO sind (vgl. §153 Abs. 1 Satz 2 AO). Untergeordnete Mitarbeiter bis hin zu Prokuristen sind nicht zur Abgabe einer Korrekturanzeige verpflichtet, soweit sie nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 35 AO erfüllen. Gleiches gilt auch für externe Steuerberater (so auch BMF a. a. O. Tz. 4).
- Falsche Ursprungserklärung
- Sachverhaltsinformationen
Den Finanzbehörden sind lediglich Sachverhaltsinformationen zu vermitteln. Die Anzeigepflicht nach § 153 AO entsteht deshalb nur, wenn zuvor eine in tatsächlicher Hinsicht unzutreffende oder unvollständige Ursprungserklärung abgegeben worden ist.
Keine Anzeigepflicht besteht, wenn die Erklärung nur in rechtlicher Hinsicht unzutreffend war.
In der Praxis sollte aber immer geprüft werden, ob dem Finanzamt wirklich alle erforderlichen Sachverhaltsangaben offengelegt wurden.
- Fallgruppen
– Fehler des Finanzamtes selbst führen nicht zu einer Anzeigepflicht. Denn bei Erfüllung der gesetzlichen Erklärungspflichten darf der Steuerpflichtige eine ihm günstige, aber fehlerhaf- te Veranlagung entgegennehmen, ohne das Finanzamt auf den Fehler hinweisen zu müssen (BFH v. 4.12.2012 – VIII R 50/10 -). Dies gilt auch, wenn ein Unternehmen das Finanzamt von einer falschen, aber für sich günstigen Rechtsansicht überzeugen konnte.
– Keine Anzeigepflicht besteht auch im Falle einer aufgrund geänderter Rechtsprechung un- richtig gewordenen Erklärung (FG Berlin v. 11.03.98 – 6 K 6305/93).
Der Steuerpflichtige hat dann mit seiner Erklärung keine Ursache für den Berichtigungsbe- darf gesetzt, was erforderlich wäre, um ihn zur Korrektur zu verpflichten (BFH v. 4.12.2012 – VIII R 50/10 -)
– Eine Pflicht zur Anzeige und Berichtigung besteht auch nicht bei einer (rückwirkenden) Gesetzesänderung oder wenn die Finanzverwaltung ihre in den Richtlinien etc. veröffent- lichte Rechtsauffassung ändert.
– Keine Pflicht zur Abgabe einer Korrekturanzeige besteht, wenn sich aus der zwischenzeitli- chen Bekanntgabe von Feststellungsbescheiden eine Abweichung zu der abgegebenen Ursprungserklärung ergibt (FG München v. 10.6.2011 – 8 K 1016/08 -).
– Bei neuen Erkenntnissen aufgrund einer anhängigen Betriebsprüfung erscheint es wenig sinnvoll, eine Anzeige bei der Veranlagungsstelle einzureichen, wenn der Sachverhalt Gegenstand der laufenden Außenprüfung ist und dem Prüfer zur Bearbeitung vorliegt. Die Veranlagungsstelle würde mit der Bearbeitung in aller Regel abwarten, bis die Außenprü- fung abgeschlossen ist. Liegt kein Fall vor, in dem ausnahmsweise eine unmittelbare Reak- tion des Veranlagungsfinanzamts zu erwarten wäre, ist es deshalb vertretbar, den Korrek- turbedarf zunächst nur mit dem Prüfer zu erörtern ( BMF a. a. O. Tz. 3 am Ende).
- “Kenntnis” begründet Korrekturpflicht
Fällt ein möglicher Fehler auf, muss die Sach- und Rechtslage regelmäßig erst aufgeklärt werden. Dies kann Wochen dauern. Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt nachträgliche Kenntnis im Sinne des pflichtauslösenden Tatbestandes vorliegt.
Das Gesetz verlangt „Kenntnis”, weshalb der bloße Verdacht eines Fehlers noch keine Anzeigepflicht aus löst !
Das BMF (vgl. BMF a. a. O. Tz. 2.4) formuliert: „Erkennen bedeutet vielmehr das Wissen von der Unrichtigkeit …”.
Der 1. Strafsenat des BGH hat noch deutlicher entschieden, dass die nachträgliche Kenntnis in § 153 Abs. 1 AO mit der Erlangung sicheren Wissens gleichzusetzen ist (BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08 -).
Dies bedeutet, dass bei unklaren Sachverhalten in der Ermittlungsphase noch keine Verpflichtung zur Korrekturanzeige gegenüber dem Finanzamt bestehen kann. Die Aufklärung des Sachverhalts kann prinzipiell abgewartet werden.
- Pflicht zur „unverzüglichen” Korrektur
Liegen gesicherte Erkenntnisse vor, muss „unverzüglich” angezeigt werden. Unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern”. Die angemessene Frist bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Die Abgabenordnung geht hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand von fristgerechtem Handeln aus, wenn innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Handlung nachgeholt wird (§ 110 Abs.2 AO). Dies könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass noch pflichtgemäß handelt, wer die Korrekturanzeige spätestens einen Monat nach Erlangung sicherer Kenntnis beim Finanzamt einreicht.
VII. Rechtsfolgen bei verspäteter Anzeige
Die verspätete Korrekturanzeige muss nicht immer strafbar sein. Sie kann einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) darstellen. Erst ab dem Zeitpunkt, zu dem bei hypothetisch ordnungsgemäßem Verhalten (also bei gedachter rechtzeitiger Anzeige) ein korrigierter Steuerbescheid ergangen wäre, schlägt der Versuch in Vollendung um. Erfolgt die Anzeige nach diesem Zeitpunkt, kann sie nur noch unter den Voraussetzungen des § 371 AO (Selbstanzeige) strafbefreiend wirken.
Schon aus diesem Grunde sollte die Erklärung vorsorglich wie eine Selbstanzeige ausgestaltet werden, d. h., man sollte im Zweifel nicht nur schlicht die Unrichtigkeit anzeigen (obwohl dies nach § 153 AO eigentlich ausreichend wäre), sondern die Erklärung unmittelbar als „Materiallieferung” mit veranlagungsfähigen – ggf. geschätzten – Zahlen ausgestalten, um sich für den Notfall auch auf § 371 AO berufen zu können.
Fazit
Die Pflicht zur Korrektur fehlerhafter Steuererklärungen erfordert wegen der nach der Reform des § 371 AO stark verkomplizierten Rechtslage einerseits und der gestiegen Sensibilität der Finanz- und Ermittlungsbehörden, die bei unzureichender oder verspäteter Korrektur verstärkt Strafverfahren einleiten, eine erhöhte rechtliche Betreuungsintensität für betroffene Unternehmen. Eine Korrektur sollte deshalb stets selbstanzeigetauglich ausgestaltet werden. Bei größeren Korrekturen sollte der Rat eines spezialisierten Steueranwaltes eingeholt werden.
Rechtsanwalt Hans Georg Hofmann, Fachanwalt für Steuerrecht/
Steuerstrafverteidiger
Heilbronner Straße 77 74211 Leingarten
- 07131/82633
info@siegel-hofman.de
www.siegel-hofmann.de